Verweigerung des Kindes
Eltern und Lehrer sind meist verblüfft, wenn bei einem Kind, das in der Schule schlechte Noten hat, sitzenbleibt oder zurückgestuft wird, eine Hochbegabung festgestellt wird. Diese Leistungsverweigerung ist meist auf eine lange, von Erwachsenen nicht bemerkte und manchmal von dem Kind gut versteckte Leidensgeschichte zurückzuführen, die an folgenden beispielhaften, aber authentischen Szenen aus dem Leben hochbegabter Kinder aufgezeigt werden soll:
- Ein dreijähriges Mädchen interessiert sich für Zahlen und Buchstaben. Ihre Mutter bremst sie: „Das hat dich noch nicht zu interessieren, das kommt erst in der Schule.“
- Ein vierjähriger Junge fragt nach Funktionsweise des Toasters. Eine Freundin meint zur Mutter: „Ich habe zwar auch ein intelligentes Kind .. Aber die Frage würde ich ihm nicht beantworten, das versteht es sowieso noch nicht“
- Eine Großmutter erfährt von den Interessen und Fähigkeiten ihres Enkels. Sie reagiert darauf – ehrlich besorgt: „Ich kannte auch mal einen, der war zu intelligent, der kam dann in die Klapsmühle“
- Eine Mutter fragt Erzieherin, was sie von einer vorzeitigen Einschulung hält, da ihre Tochter liest, rechnet, sich im Kindergarten langweilt und in die Schule möchte. Worauf die Erzieherin nur antwortet: „Gönnen Sie dem Mädchen doch noch das Jahr.“
- Bei der Einschulungs-Untersuchung lässt die Schulärztin ein Kind, das bereits lesen und rechnen kann, Form und Farbe von Bauklötzen nennen. Als das durch die Unterforderung sichtlich genervte Kind die Bauklötze dann auch noch in vorgestanzte Löcher einordnen soll, sagt es: „Ne, mach ich nicht. Soll’s sonst noch was sein?“ Darauf meint die Ärztin zur Mutter: „Na, besonders helle ist der aber auch nicht.“
- Ein Mädchen zeigt in Grundschule ihr großes Wissen auf einem Teilgebiet. Anstatt das Mädchen zu loben, sagt die Lehrerin: „Jetzt nimm mal einen großen Schwamm, wisch all das weg, was du schon weißt, und fang von vorne an.“
Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass diese immer wiederkehrenden Reaktionen dazu führen müssen, dass das Kind sich von Eltern, Bekannten, anderen Kindern und Lehrern nicht verstanden, nicht akzeptiert, nicht so wahrgenommen fühlt, wie es tatsächlich ist. Es hat das Gefühl, es lebe im „falschen Film“.
Die Kinder erkennen – bewusst oder unbewusst – ihre Begabung als Ursache für ihr vermeintliches Problem und fangen an sich zu verleugnen, indem sie Leistungen mit Absicht zurückfahren und ihr Potenzial auf anderen Gebieten „ausleben“ oder alles „in sich hineinfressen“. Einige, häufiger Jungen, spielen den Klassenclown oder werden aggressiv. Andere, häufiger Mädchen, ziehen sich in sich zurück, entwickeln psychosomatische Beschwerden, werden depressiv.